Loverboys - vom siebten Himmel in die Zwangsprostitution




Can't stand the thought of you with somebody else


Got to have your love, got to have it all to myself
(…)
Wanna be your lover, lover, loverboy
(…)
'Cause I get this feeling, feeling from nobody else
Gotta have your tenderness all to myself





Als ich versuche, mich intensiver mit dem Thema ‚Loverboys‘ zu beschäftigen, stoße ich hauptsächlich auf Pop-Musik: Einen Künstler namens Loverboy, viele Lieder mit gleichnamigem Titel. Darunter auch das Lied ‚Loverboy‘ von Billie Ocean aus dem Jahr 1984. Und obwohl es nicht das ist, wonach ich gesucht habe, beschreibt es gut einen wesentlichen Charakterzug der 'Loverboys'. Billie Ocean singt aus der Perspektive eines Mannes, der sein Gegenüber verführen möchte, es nur für sich allein haben will. Er beschreibt eine Sehnsucht, eine Liebe, die nur seinem Gegenüber gilt und es so zu etwas ganz Besonderem macht. Mir fallen direkt viele Liebeslieder ein, die eine gleiche Geschichte erzählen. Ich erinnere mich daran, wie ich mir als Teenagerin genau das wünsche: Jemand, der nur Augen für mich hat. Jemand, der mich wie verrückt liebt. Mittlerweile bin ich einige Jahre älter und habe an Erfahrungen gelernt.

Ich möchte an dieser Stelle eine kleine Geschichte erzählen:

Sie treffen sich heute zum zweiten mal. Er holt sie von der Schule ab, fährt einen schicken roten Sportwagen. Er hält ihr die Tür auf, macht ihr Komplimente. Sie fühlt sich wohl bei ihm und wertgeschätzt. In der Schule geht sie oft unter in der Masse von pubertierenden 15-Jährigen, die alle auffallen wollen. Sie ist schüchtern, wird nie von Jungs angesprochen, so wie ihre Freundinnen. Das ändert sich vor einer Woche, als ihr jemand bei Facebook schreibt. Er gibt ihr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Sie treffen sich bald täglich, da er etwas älter ist als sie, lügt sie ihre Eltern an und erzählt, sie treffe sich mit Freundinnen. Es dauert keine zwei Wochen, bis er mit ihr schlafen will. Sie ist sich unsicher, aber vertraut dem vor kurzem noch fremd gewesenen jungen Mann. Nach ein paar Tagen erzählt er, dass es ganz normal sei, dass seine Freunde auch mit ihr schlafen würden und überredet sie, sich mit einem anderen Mann zu treffen. Ohne es zu wissen, ist das die erste Nacht, in der sie sich prostituiert.




Verliebt und verkauft


Diese Geschichte, die ohne Namen auskommt, ist eine Erfundene und doch basiert sie auf unzähligen wahren Begebenheiten. ‚Loverboys‘ werden die jungen Männer genannt, die mit dieser Masche junge Frauen und Mädchen in die Zwangsprostitution bringen. Hinter dem, was mir durch den Kopf schwirrt als ich Billie Ocean singen höre, versteckt sich hier eine perfide Masche. Zumeist junge Männer bedienen sich dieser: Erst täuschen sie eine Liebesbeziehung vor, dann manipulieren sie die Mädchen und Frauen emotional, isolieren sie sozial von Freunden und Familie und schließlich zwingen sie sie in die Prostitution. Sich von den Tätern zu trennen fällt den Opfern der Loverboys oft schwer. Die emotionale Bindung, die über kurze Zeit sehr intensiv aufgebaut wurde, lässt Schuldgefühle und ein Gefühl der vermeintlichen Freiwilligkeit aufkommen. Zudem werden die Mädchen und Frauen oft mit dem Veröffentlichen von Bildmaterial bedroht.
All das passiert meist in einem Zeitraum von wenigen Wochen, sodass das Umfeld der Mädchen mit dem direkten Verschwinden konfrontiert wird und als Anhaltspunkt oft nur einen neuen Freund vermuten kann. Was tatsächliche Gründe für ihr Verschwinden sind, sind ohne Hilfe nicht leicht herauszufinden. Aus der Hilflosigkeit betroffener Eltern hat sich "Die Elterninitiative für Loverboy-Opfer" entwickelt, die seit etwa zehn Jahren Fachkräfte, Schulen und Eltern berät und informiert. Die Initiative hat ein Netzwerk aufgebaut, um Eltern, deren Kinder Opfer der Loverboy-Masche wurden, zu beraten und zu begleiten. 

Die Masche ist keine gänzlich neue, wird allerdings erst seit wenigen Jahren als eigenes Phänomen verfolgt. Daten des Bundeskriminalamts melden 2018 beispielsweise eine Anzahl von Ermittlungsverfahren zum Menschenhandel von 97 Fällen in NRW wohingegen nur ein Fall in Brandenburg ermittelt wurde. An welchen Faktoren diese Differenzen liegen, ist nur zu vermuten. Dass tatsächlich ein so großer Unterschied in den Vorkommnissen von Menschenhandel zu verzeichnen ist, ist eine These, die es zu überprüfen gilt. Eine andere These wäre, dass Personalknappheit, fehlende Ressourcen und Kenntnis über die Maschen die tatsächlichen Fälle unentdeckt lassen.

unzählige Fälle und kaum eine Verurteilung


Die Dunkelziffer der Fälle ist nur ansatzweise zu schätzen. Hanna Biskoping, Sozialarbeiterin mit dem Schwerpunkt Loverboys aus der Mitternachtsmission Dortmund, erzählt von knapp 400 Fällen des Bereiches „Hilfen für Opfer von Menschenhandel“, unter welchen auch die Opfer der Loverboy-Masche fallen, mit denen sie und ihre Kolleginnen im Jahr konfrontiert werden. Dass in Dortmund mehr Fälle vorkommen als in anderen Städten, hält Frau Biskoping für unrealistisch. Denn hier gibt es keine kriminellen Strukturen und auch keinen Kinderstrich. Allerdings ist Dortmund eine der wenigen Städte, die Angebote zur Beratung und Hilfe für Opfer von Menschenhandel anbieten und somit das Thema sichtbar werden lässt.
Zur Anzeige kommt es in wenigen Fällen. Viele Mädchen haben Schamgefühle, schreiben sich selbst die Schuld zu oder haben Angst vor den Tätern. Als Sozialarbeiterin begleitet Hanna Biskoping in erster Linie die Mädchen und jungen Fragen. „Wir haben uns auch schon öfter zusammen mit einem Mädchen gegen eine Anzeige entschieden, weil ihre Verarbeitung durch Therapie gedeckt wurde und es dann einfach im Beratungsprozess in Ordnung und aus sozialarbeiterischer Sicht sind das immer die entscheidenden Faktoren.“ Sich selbst und das eigene Gerechtigkeitsempfinden in solchen Prozessen außen vor zu lassen, ist nicht immer leicht und bedarf viel Aushaltevermögen. Im letzten Jahr hat sich eine junge Frau, die Frau Biskoping seit mehreren Jahren begleitet, dazu entschieden, eine Anzeige zu schalten bezüglich eines Falles der Loverboy-Masche, der etwa drei Jahre zurückliegt. Diese Zeit brauchte die junge Frau, um das, was passiert ist, zu verarbeiten und die nötige Sicherheit zu finden, für ihre Rechte einzustehen. Bis zum Prozess gab sie sich immer wieder selbst die Schuld. Nach einem langen Ermittlungsverfahren und einem langen Gerichtsprozess wurde der Täter verurteilt. Zwar nur zu einer Bewährungsstrafe, aber die Verurteilung hat der Klägerin Recht gegeben. „Die Richterin hat das sehr schön formuliert: ‚Das hat nichts mit Naivität zu tun, es ist Kalkül und Taktik. Und sie sind nicht Schuld.‘ Die Strafe war egal, weil die Richterin, also eine Autoritätsperson, ihr vermittelt hat, dass sie das nicht freiwillig gemacht hat, sondern dazu gebracht wurde auf eine ganz perfide Art und Weise.“ Die Last, die in diesem Moment von der jungen Frau abgefallen ist, war unabhängig der Strafe, die der Täter bekommen hat.

Seit 2001 bietet die Mitternachtsmission Dortmund ein Hilfsprojekt an, das sich ausschließlich der Hilfe für Kinder und Jugendliche in der Prostitution widmet. Es ist das erste Projekt dieser Art. Mit Fördermitteln widmet sich das Team rund um Frau Biskoping seitdem der Hilfe für Minderjährige. Die anderen Arbeitsfelder der Mitternachtsmission werden durch das Land NRW, durch Projektstellen oder durch die Kommune finanziert. Dass ein solches Projekt – ebenso wie Frau Biskopings Stelle – ausschließlich durch Spenden finanziert wird, ist nicht selten. „Keine Kommune sagt gerne: Wir haben hier Minderjährigenprostitution.“ begründet sie die Situation. Ab nächstem Jahr wird ihre Stelle von der Kommune mitfinanziert, da die Stadt Dortmund das Problem erkannt hat und aktiv etwas dagegen tun will. Dass es soweit kommt, hat fast zwei Jahrzehnte Vorarbeit gekostet. Erst durch die Beratungsarbeit und Streetwork wurde auf das Thema aufmerksam gemacht. Mittlerweile ist in Dortmund bekannt, dass es Minderjährigenprostitution gibt, ebenso wie Menschenhandel und andere Formen der Zwangsprostitution. Auch die Bordellbetreiber*innen sind sich über diese Situation bewusst und haben sich zusammengeschlossen gegen jegliche Art von unfreiwilliger Prostitution ausgesprochen. In der Linienstraße, einer großen Bordellstraße mit 16 Häusern, haben sie aus Eigeninitiative ein großes Plakat aufgehangen mit dem Aufdruck: Willkommen in der Linienstraße Dortmund. Zwangsprostitution, Menschenhandel, Kinderprostitution – nein danke! Auf diesem Plakat ist das Logo der Mitternachtsmission gedruckt. Diese Form der Kooperation zwischen Bordellbetreiber*innen und Institutionen ist ungewöhnlich.

Dass es einen großen Unterschied macht, wie sensibilisiert verschiedene Akteure werden, ist auch am Beispiel Düsseldorf gut zu sehen. Der Düsseldorfer Staatsanwalt Stefan Willkomm hat sich auf das Thema spezialisiert. Zu den Fällen, die in Düsseldorf zur Anzeige gebracht werden, sagt er in einem Interview, vier Fälle in zwei Jahren sein – sofern man die Statistik in Deutschland betrachte – viel. Die Ursache sieht auch er darin, dass sich in Düsseldorf geschultes Personal engagiert und so mehr Verfahren angemessen durchgeführt werden können als in Städten, in denen das Thema weiterhin tabuisiert wird.

Start- und Angelpunkt bleibt also weiterhin die Aufklärungsarbeit. Und zwar auf allen Ebenen: In Schulen, bei Fachkräften, Familien und der Gesellschaft. 



Weitere Informationen zum Thema gibt es hier:

Mitternachtsmission Dortmund 
Die Elterninitiative für Loverboy-Opfer
Liebe ohne Zwang


Reportagen und Dokumentationen:
WDR: Loverboys - zwischen Liebe und Menschenhandel
Das Erste: Themenabend Loverboys
ZDF: Aktenzeichen XY: Loverboy-Masche! Der grausame Weg auf den Strich 




Loverboys - vom siebten Himmel in die Zwangsprostitution

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